Die Roskilde-Rückkehr

Ein großartiger Augenblick auf einem Musikfestival kann bitterkalt sein.

 

Ich stehe um 8 Uhr morgens nackt in einem Überseecontainer. Um mich herum höre ich tiefes Luft holen, machmal auch ein kurzes Japsen. Aus den Duschen kommt ein eiskalter Strahl. Kalt abbrausen soll ja gesund sein. Für mich ist es der 

Moment, in dem ich weiß: Jetzt bin ich (wieder) in Roskilde angekommen.

 

Das Roskilde Festival feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum. Das heißt, eigentlich wollten die Dänen schon 2021 feiern. Aber dann kam Corona dazwischen. Das ändert nichts an einer  grundlegenden Euphorie für ein Mega-Event, das seit jeher viele unterschiedliche Musikstile vereint: Hiphop, Pop, Rock, Metal, Alternativ, Weltmusik. 212 Musik-Acts an sieben Tagen. Weit über 100.000 Fans bevölkern das Festivalgelände.

 

Und hier steckt das eigentliche Geheimnis dieser Veranstaltung. Knapp 40 Kilometer westlich von Kopenhagen treffen sich jedes Jahr Menschen, die einfach eine gute Zeit haben wollen und zusammen Party machen. Der Monatswechsel zwischen Juni und Juli eignet sich dafür perfekt. Die Haupt-Acts spielen von mittwochs bis samstags. Aber schon am Samstag zuvor strömen Tausende auf die Campingplätze, um sich nicht nur die besten Plätze zu sichern, sondern auch direkt in den Partymodus zu schalten.

 

The festival never sleeps

 

Fast vor jedem Zelt ein Epizentrum der guten Laune. Natürlich viel Bier und selbst gemixte Drinks. Mit Trinkspielen die Zeit bis zum nächsten Musik-Act überbrücken. Nicht selten dröhnt Mucke aus mitgebrachten Boxen. Auch hier ist der Mix so unterschiedlich wie das Publikum. Die Jüngeren zwischen 20 und 30 machen die Nacht zum Tag. Wer einen leichten Schlaf hat, wird auch um vier Uhr morgens noch kein Auge zudrücken können. Doch viele Ältere (auch ich zähle mit knapp 50 dazuzählen) beobachten das Treiben mit einem wohlwollenden Schmunzeln. Ist halt Festival. Waren wir früher anders?

 

Ich selbst war 1997 zum ersten Mal in Roskilde. Ein Studienfreund hatte mir von dieser wahnsinnigen Atmosphäre erzählt. Und er sollte recht behalten. Fünf mal hintereinander war ich Teil dieser großen, bunten Party. Bis heute habe ich mein 1. Festival-T-Shirt aufbewahrt. In dem typischen Roskilde-Orange, das die Veranstaltung allerorten prägt.

 

Als ich vor 21 Jahren zum letzten Mal auf dem Roskilde Festival war, hatte dieses sonst so friedliche Fest gerade eine Katastrophe hinter sich. Bei einem Gedränge vor der Orange Stage - der Hauptbühne - starben 2000 neun Menschen. Als Reaktion intensivierte die Festival-Leitung in den folgenden Jahren die Sicherheitsvorkehrungen. Für mich blieb dieses Ereignis immer etwas schockierend und unwirklich zugleich. Hatten wir nicht eben noch gemeinsam bei Pearl Jam gesungen und glücklich unser Bier in den Himmel gehoben?

 

 

Father and son(s)

 

Jetzt bin ich also zurück. Und da ist wieder so ein Gefühl wie beim ersten Mal. So etwas Leichtes, Ungezwungenes. Aber auch viel Verantwortung ist dabei. Denn ich bin nicht allein: Meine beiden Söhne erleben mit 12 und 15 ihr erstes großes Festival. Wow! In diesem Alter hätte ich davon nur geträumt. Und ich bin auch ein bisschen stolz. Sie saugen die Atmosphäre auf, durchdringen dieses Ereignis Stück für Stück. Planen, welche Musik sie hören wollen, staunen über seltsame Gestalten, schütteln den Kopf über nicht viel Ältere, die die Grenzen eines maßvollen Alkoholkonsums deutlich überschreiten. Ich habe auch das Gefühl mit Roskilde etwas ganz Persönliches an sie weiterzugeben.

 

 

Nachhaltiges Festival - ein Widerspruch in sich?

 

Das Roskilde Festival beansprucht für sich viel im sozialen Bereich und für die Nachhaltigkeit zu tun. Hinter der Organisation steht eine Stiftung und ein unglaubliches Heer von jährlich bis zu 30.000 Freiwilligen. Im Laufe der Jahrzehnte gingen fast 60 Mio. Euro an Vereine oder soziale Einrichtungen. Non Profit im Sinne der Gemeinschaft. Aber auch im Sinne der Nachhaltigkeit? Die Campingplätze sind nach kurzer Zeit übersät mit leeren Dosen, Flaschen, kaputten Stühlen oder zerfetzten Pavillons. Auch das Roskilde Festival hat ein Müllproblem: Um die 2000 Tonnen Abfall (2019) sind kein nachhaltiger ökologischer Fußabdruck. Natürlich beobachte ich immer wieder professionelle Dosensammler, die zumindest für ein bisschen Recycling sorgen. Aber wohin, frage ich mich, fährt eigentlich der kleine Transporter, auf dessen Ladefläche sich schon nach zwei Tagen die deformierten Campingstühle türmen? Fakt ist: der Müll wird zu rund 85 Prozent verbrannt (2019). Das Festival will das ändern. Bis 2024 soll 30 % weniger Müll anfallen, möglichst die Hälfte davon recycelt werden. Aber ich glaube, ohne eine Bewusstseinsänderung beim campenden Publikum wird das nur schwer gehen.

 

 

Ich habe Rücken

 

Apropos Camping. Mit unserem Drei-Mann-Zelt sind wir gut aufgestellt. Wie es sich gehört schlafe ich mit den Söhnen auf Isomatten. Mein Rücken findet das allerdings nur bedingt witzig. Die Lenden schmerzen. Die Beweglichkeit lässt zuweilen deutlich zu wünschen übrig. Der Spott meiner jungen Mitreisenden ist mir gewiss („Na, alter Mann“). Aber da muss ich jetzt durch. 

 

An den Nachbarzelten treffe ich auf andere Festival-Veteranen aus Deutschland. Michael aus Oldenburg trägt auch das orangene 97er T-Shirt. Neugierig machen wir einen Qualitätsvergleich. Irgendwie - finde ich - hat seins weniger gelitten. Auch er hat seine Kinder frühzeitig mit dem Flair des Festivals vertraut gemacht. Sein Sohn kam mit 12 das erste Mal hier hin, jetzt ist es sein drittes Roskilde.

 

Gegenüber kochen sich Ben, Peer und Lena einen Kaffee. Die drei Geschwister holen das Geburtstagsgeschenk für Peer nach. Als er vor zwei Jahren 50 wurde, fieldas Festival wegen Corona ins Wasser. Jetzt ist er zum ersten Mal hier und staunt über die schiere Größe des Geländes: 80 Hektar allein fürs Camping sind schon ein Wort. Aber auch die entspannte Atmosphäre beeindruckt ihn. Das erste Mal Roskilde ist eben auch mit über 50 ein Ereignis.

 

Wundertüte Musik

 

Zumal sich auch gestandene Musikfans immer wieder von ungeahnten Klängen überraschen lassen. Roskilde war mal als reines Rockfestival gestartet, hat sich aber nie den Trends der Zeit verschlossen. Während früher Metallica oder Neil Young die „Organe“ rockten sind es jetzt Pop-Größen wie Dua Lipa oder Rapper wie Post Melone, die die Massen begeistern. Für mich ist das ein Spagat: Einerseits freue ich mich mit meinen Söhnen, die diese Shows sichtlich genießen. Andererseits sucht der Rocker in mir die Punk und Hard-Core-Gigs. Auch sie gibt es natürlich. Es gilt, familiäre Kompromisse zu finden.

 

Wir kommen wieder


Ein großes familiäres Event ist auf jeden Fall das Pfandsammeln. Mein Jüngster ist bei Bechern und Pitchern so eifrig, dass wir am Ende eines Abends 35 Euro in unsere Campingkasse einzahlen können. 

Und da ich weiter morgens die kostenlose kalte Dusche "genieße", haben wir am Ende auch noch etwas Geld für die wichtigen Erinnerungsstücke in der Tasche: Beide Söhne bekommen ihr erstes Festival-Sweatshirt. Wenn das kein Grund zum Wiederkommen ist. 

 

Es war einfach mal wieder eine gute Party  - tusind tak Roskilde!

 

Druckversion | Sitemap
© Kai-Hendrik Haß